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lfd. Nr.
211
Prot. Nr.
s. no.
Sender
Bertram
Empfänger
Orsenigo
Ort
Breslau
Datum
04.08.1933
Archiv
AA.EE.SS. Germania, Pos. 632, fasc. 150, fol. 49r-51v
Betreff
s. ogg.
Regest
Die Einwände des deutschen Episkopats gegen das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“; Bitte um eine Stellungnahme des Heiligen Stuhls aufgrund der Enzyklika „Casti Connubii“.
Dokument
1Die ernsten Bedenken, die das Reichsgesetz über Sterilisierung hervorruft, veranlassen mich, Eurer Exzellenz Folgendes ehrerbietigst zu unterbreiten.
2Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933, RGBl. Nr. 86, kommt in mehrfacher Beziehung sehr überraschend. Allerdings ist seit Jahren in Kreisen der deutschen Ärzte auf ein solches Gesetz gedrängt. Aber die Diskussion der Wissenschaftler und Praktiker war noch keineswegs abgeschlossen.
3Unentschieden war noch die Vorfrage, ob die Zahl der Fälle, in denen mit genügender Sicherheit die Prognose auf ungünstige krankhafte Nachkommenschaft gestellt werden kann, wirklich groß ist. Von wissenschaftlicher Seite wird mehrfach mit Nachdruck behauptet, daß die Zahl der Fälle, in denen die Prognose hoffnungslos ist, tatsächlich sehr gering ist. Je geringer diese Zahl ist, desto mehr fällt ins Gewicht, daß der Eingriff, der den Lebensstrom einer ganzen Generation abschneidet, sehr verantwortungsvoll ist.
4Nicht gewürdigt ist vom Gesetzgeber die Frage, ob der Eingriff der Sterilisierung aus eugenischen Gründen naturrechtlich zulässig ist. Die Enzyklika Casti connubii stellt da, wo sie die Sterilisierung aus eugenischen Gründen als unerlaubt bezeichnet, nicht ein rein kirchliches Gesetz, sondern ein naturrechtliches Prinzip auf.
5Nicht genügend geprüft ist die Frage, ob, wenn die Zahl der hoffnungslosen Fälle wirklich nicht so groß ist, nicht eine Asylierung der erbkranken Individuen genügt; diese würde nicht zu große Kosten verursachen bei Vorhandensein einer geringeren Zahl solcher Fälle.
6Auch da, wo nur fakultative Sterilisierung mit Einwilligung der kranken Individuen verlangt wurde, ist von katholischer Seite betont, daß man dem nicht tolerierend zusehen dürfe, da es sich um eine naturrechtlich verbotene Sache handelt. So hat noch vor wenigen Wochen die Fuldaer Bischofskonferenz vom 31. Mai 1933 im Protokoll Nr. 16 und Anlage 6 des Protokolls auch gegen eine gesetzliche Erklärung der Zulässigkeit fakultativer Sterilisierung Stellung genommen;1
Vgl. Protokoll der [1.] Plenarkonferenz des deutschen Episkopates, Fulda, 30. Mai bis 1. Juni 1933, in: Stasiewski (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe I, S. 196-210, hier S. 208, sowie ebd., Anlage 6, S. 223/224; diese Entschließung wurde im Staatssekretariat folgendermaßen zu den Akten genommen: “La Conferenza Episcopale di Fulda, opponendosi a una dichiarazione di legge della liceità di una sterilizzazione facoltativa, ha dichiarato che anche nei casi di sterilizzazione facoltativa col consenso della persona malata, per i cattolici non è lecito neppure l’atteggiamento di tolleranza perché si tratta di azione condannata dal diritto naturale” (Aktennotiz in AA.EE.SS. Germania, Pos. 632, fasc. 150, fol. 55r).
die Zwangssterilisierung war damals noch nicht zu befürchten.
7Jetzt, wo diese durch Reichsgesetz eingeführt ist, bemerkt die Kölnische Volkszeitung vom 27. Juli 1933 Folgendes: „Von unterrichteter Seite wird darauf hingewiesen, daß die äußerst vorsichtige und präzise Fassung des neuen Gesetzes alle übertriebenen Befürchtungen hinfällig macht, die in früheren Diskussionen aufgetaucht waren. Die Operation ist ungefährlich; sie hat nicht wesentliche Rückwirkungen auf den menschlichen Organismus.“
8Eine solche Erklärung in einer katholischen Zeitung umgeht die großen und wichtigen Fragen, die oben angedeutet sind. Das Gesetz geht über die fakultative Sterilisierung weit hinaus und ist besonder in folgenden Punkten anfechtbar.
9Wenn in § 1 das Wort „kann sterilisiert werden“ als freibleibend von weltlicher Strafe aufzufassen wäre, könnte es durchgehen, weil Wegfall einer Pönalbestimmung noch nicht sittliche Erlaubtheit statuiert. Doch hat der Ausdruck im Zusammenhange einen viel weiter gehenden Sinn.
10Das Gesetz begnügt sich nicht mit fakultativer Sterilisierung auf Antrag des mit Erbkrankheit Belasteten, sondern greift tief in dessen persönliche Freiheit ein, da nach § 3 der beamtete Arzt und der Anstaltsleiter durch Antragstellung den ersten entscheidenden Schritt tun können, dann im Gerichtsverfahren die Sterilisierung endgiltig beschlossen, gegen den Willen des Unfruchtbarzumachenden durchgeführt werden soll, wobei der beamtete Arzt zur Herbeiführung der Zwangsmaßnahmen die entscheidenden Schritte tun soll. Es ist also eine Vergewaltigung des Kranken und eine zwingende Verpflichtung des beamteten Arztes, eventuell auch der an die Grundtendenz des Gesetzes gebundenen Gerichtsmitglieder, sowie auch der Vollzugsorgane gesetzlich statuiert, was einen Gewissenskonflikt herbeiführt, wenn der katholische Arzt das ganze Verfahren für sittlich unerlaubt hält, wie es bei katholischen Ärzten vielfach eintreten wird.
11Es legt sich die Frage nahe, ob gegen das Gesetz Einspruch erhoben werden soll, und ob daneben eine Vergünstigung für solche beamtete Personen in den Durchführungsbestimmungen erbeten werden soll, die sie in Stand setzt, die Mitwirkung zu einer von ihnen als sittlich unerlaubt betrachteten Handlung aus religiös-sittlichen Gründen gemäß den amtlichen Erklärungen der kirchlichen Obrigkeit über sittliche Unerlaubtheit abzulehnen, ebenso wie z.B. die Ärzte in katholischen Krankenhäusern vertraglich sich verpflichten müssen, solche Schwangerschaftsunterbrechungen abzulehnen, die mit den Normen der katholischen Moral unvereinbar sind.
12Man kann nun nicht übersehen, daß es sich hierbei um Fragen handelt, für deren Lösung die Grundsätze der Enzyklika Casti connubii im Verein mit der durch das Reichskonkordat vereinbarten Harmonie zwischen kirchlicher und staatlicher Gewalt von bestimmender Bedeutung sind. Dies ist der Grund, weshalb ich Eurer Exzellenz die ehrerbietige Bitte um Herbeiführung einer instruktiven Äußerung des Heiligen Stuhls unterbreite. Eine große Erleichterung für den Episkopat würde es sein, wenn der Heilige Stuhl selbst über die Opportunität einer Stellungnahme Beschluß fassen oder einen Wink dem Episkopate geben wollte, der wegen der Tragweite dieser Angelegenheit nicht ohne solche Kommunikation mit dem Heiligen Stuhle wird vorgehen können.
Anhang

1 Vgl. Protokoll der [1.] Plenarkonferenz des deutschen Episkopates, Fulda, 30. Mai bis 1. Juni 1933, in: Stasiewski (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe I, S. 196-210, hier S. 208, sowie ebd., Anlage 6, S. 223/224; diese Entschließung wurde im Staatssekretariat folgendermaßen zu den Akten genommen: “La Conferenza Episcopale di Fulda, opponendosi a una dichiarazione di legge della liceità di una sterilizzazione facoltativa, ha dichiarato che anche nei casi di sterilizzazione facoltativa col consenso della persona malata, per i cattolici non è lecito neppure l’atteggiamento di tolleranza perché si tratta di azione condannata dal diritto naturale” (Aktennotiz in AA.EE.SS. Germania, Pos. 632, fasc. 150, fol. 55r).
Biographien (1):Sachdatensätze (2):

Berichte des Apostolischen Nuntius Cesare Orsenigo
aus Deutschland 1930 bis 1939
Im Auftrag des Deutschen Historischen Instituts in Rom und in Kooperation mit der Kommission für
Zeitgeschichte Bonn und dem Archivio Segreto Vaticano herausgegeben von Thomas Brechenmacher
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