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lfd. Nr.
1189
Prot. Nr.
s. no.
Sender
Bertram
Empfänger
Orsenigo
Ort
Breslau
Datum
02.02.1934
Archiv
AA.EE.SS. Germania, Scatole 1, fol. 93r-95r, Abschrift1
Die orthographischen Unregelmäßigkeiten der in der Nuntiatur angefertigten Abschrift wurden beibehalten.
Betreff
s. ogg.
Regest
Vorschlag Bertrams, wie auf die Reichstagsrede Hitlers zu reagieren sei; die fortgesetzte Kontroverse mit der Regierung über die Haltung der katholischen Kirche zum Sterilisierungsgesetz.
Dokument
1Eure Exzellenz werden es mit dem Episcopate Deutschlands sehr schmerzlich empfinden, daß der Herr Reichskanzler in seiner großen Reichstagsrede vom 30. Januar d. J.2
Reichstagsrede Hitlers vom 30.01.1934, in: Verhandlungen des deutschen Reichstags / Reichstagsprotokolle, 9. Wahlperiode 1933/1936,1, Zweite Sitzung (30.01.1934) (http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w9), S. 7-20.
schärfste und vorwurfvollste Kritik an der katholischen Kirche geübt hat. Wenn auch im Plural von Kirchen geredet wird, so richtet sich doch nach allgemeinen Empfinden der schärfste Angriff gegen die Oberhirten der katholischen Kirche. Die Gemeinsamkeit der Sorgen legt es mir nahe, Eurer Exzellenz nachstehende Gedanken ehrerbietigst zu unterbreiten.
2Es ist evident, daß der Episcopat nur aus Pflichtgefühl gehandelt hat. Das Sterilisierungsgesetz ist nicht in der Stille und mit Vorsicht in Uebung getreten, sondern mit einer großen, in alle Kreise verwirrend eindringenden Propaganda. Alle gegen dasselbe sprechenden Gutachten wurden unterdrückt. Die Presse redete von Hunderttausenden, die sterilisiert werden würden. Die städtischen Behörden hielten die Fürsorger und Fürsorgerinnen zur planmäßigen Propaganda des Gesetzes an. Das Volk verlangte nach einem klärenden Wort der Oberhirten. Dies ist nach wochenlangen Erwägungen im Gesamtepiskopate in kürzester Form erfolgt ohne die Feierlichkeit eines besonderen Hirtenbriefes.3
Vgl. den Kommentar zu Bericht No. 9033 vom 10.12.1933 sowie Brechenmacher (Hg.), Unveröffentlichte Dokumente aus dem Nachlaß des Ministerialdirektors Rudolf Buttmann, S. 215, Anm. 207.
Das ist auch Ew. Exzellenz bekannt aus dem Schreiben an das Reichsinnenministerium vom 14. Januar 1934, von dem ich Ew. Exzellenz Abschrift sandte.4
Vgl. Bericht No. 9337 vom 15.01.1934.
Es ist nun vom Herrn Reichsinnenminister das Reskript vom 26. Januar 1934 erfolgt, das ich in Abschrift beilege.5
Vgl. Anlage zu Bericht No. 9528 vom 07.02.1934; zur selben Thematik auch Faulhaber an Frick, 07.02.1934, in: Stasiewski (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe I, S. 535-539.
Ueberdies hat der amtliche Pressedienst die nachfolgende Zeitungsmeldung verbreitet:
3„In letzter Zeit sind durch katholische Kanzelverkündigungen Zweifel erweckt worden, ob das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses gemäß den eindeutigen Erklärungen der Reichsregierung durchgeführt wird. Bei diesen Ankündigungen handelt es sich lediglich um eine lehrmäßige Stellungnahme der katholischen Kirche, die den Staat nicht hindern wird, das von ihm für notwendig erkannte Gesetz in vollem Umfange auszuführen. Kundgebungen, die einer Aufforderung zum Ungehorsam gegen das Reichsgesetz gleichkommen, werden unterbunden.“
4Darauf im Reichstage die überaus scharfe Stelle in der Rede des Herrn Reichskanzlers, die der kirchlichen Obrigkeit Meutern gegen die staatliche Autorität vorwirft.6
Vgl. Anm. 1 zu Bericht No. 9528 vom 07.02.1934.
5Zur Beurteilung der Lage wird folgendes zu beachten sein.
6Auf Verkündigung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre zu verzichten, wenn diese mit den Ideen der Staatsgesetze nicht übereinstimmen, ist der Kirche unmöglich. Selbst in der Konferenz im Reichsinnenministerium vom 3. November 1933 ist, wie die Niederschrift der Bischöfe von Freiburg und Osnabrück bezeugt, anerkannt, daß die kirchliche Autorität die Gläubigen über die Stellung der katholischen Kirche zur Sterilisierungsfrage aufklären dürfe.7
Vgl. Bericht No. 8713 vom 09.11.1933, sowie Brechenmacher (Hg.), Unveröffentlichte Dokumente aus dem Nachlaß des Ministerialdirektors Rudolf Buttmann, S. 251, Anm. 316; der Bericht Bernings und Gröbers an Bertram vom 03.11.1933 in: Stasiewski (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe I, S. 433-436.
Nur dies ist beabsichtigt in den Kanzelverkündigungen vom 14. Januar 34.
7Der Hinweis im Reskript des Herrn Reichsinnenministers vom 26. Januar 1934, daß die Kirche nur „innerhalb der der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes“ Anordnungen erlassen dürfe,8
Druck in: Stasiewski (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe I, S. 535, Anm. 2.
(Art. 1 Abs. 2 des Reichskonkordats) stellt uns vor die Frage, welchen Einfluss dieser Satz auf die Lehrfreiheit habe, die zweifellos im 1. Absatz des Art. 1 und im Schlußprotokoll zu Art. 32 ausgesprochen ist. Die auf staatlicher Seite herrschende und von der Fachliteratur mehrfach vertretene Auffassung ist der Lehrfreiheit nicht günstig; die Berufung auf die Weisung des Heilandes wird keine Anerkennung finden. Es wird Auffassung gegen Auffassung stehen. Es ist somit eine Spannung eingetreten, die den bevorstehenden neuen Verhandlungen über Ausführung des Reichskonkordats sehr ungünstig ist. Eine Aufklärung des Volkes und eine Verteidigung gegenüber der öffentlichen Meinung ist nicht möglich, weil dafür genügende Freiheit der Presse und der Rede nicht mehr besteht. Diese Kämpfe auf die Kanzel zu tragen, ist nicht angängig.
8Andererseits kennen Ew. Exzellenz die Gründe, aus denen es vermieden werden muß, daß es zur offenen Entzweiung komme, die nur Ruinen schaffen würde. Das läßt die Liebe zum Volke nicht zu. Aber den Vorwurf des Meuterns schweigend hinzunehmen, würde mit der Würde der Kirche nicht vereinbar sein.
9Darf ich in tiefster Ehrerbietung meine Gedanken vortragen, ohne als Ratgeber mich aufdrängen zu wollen?
10Ich bitte um geneigte Erwägung, ob es angängig ist, daß Eure Exzellenz der Hochwürdigsten Staatssekretarie Sr. Heiligkeit die Frage unterbreiten, ob eine Erklärung des Hl. Stuhles an die Reichsregierung zum Schutze der kirchlichen Autorität möglich ist. Es ist ja nicht ein einzelner Bischof, sondern die kirchliche Autorität selbst angegriffen, die auch die Formulierung im Reichskonkordat beschlossen hat. Eine Erklärung des Hl. Stuhles könnte, ausgehend vom Lehrauftrage Christi und von der Lehrautorität des höchsten kirchlichen Lehramtes die Integrität der Absichten des Episkopats anerkennen, der einzig im Gehorsam gegen die Weisungen der Enzyklika Casti connubii sich belehrend an die Gläubigen gewandt, dabei das besondere Vertrauen zu entgegenkommenden Maßnahmen der Reichsregierung bekundet, also die Reichsregierung nicht brüskiert hat; darum sei der scharfe und verletzende Ausdruck in der Erklärung der Regierung zu bedauern, der Vorwurf könne nicht als begründet anerkannt werden, vielmehr müsse erneut der Hoffnung auf weitere entgegenkommende Maßnahmen der Reichsregierung und der Bitte um beruhigende Erklärung Ausdruck gegeben werden.9
Eine Erklärung des Hl. Stuhls, wie hier von Bertram gewünscht, unterblieb, ebenso eine Verlautbarung in der Presse. Allerdings hatte Pacelli bereits in seinem Promemoria an die Reichsregierung vom 31.01.1934 umfänglich zu dieser Angelegenheit Stellung genommen; vgl. Albrecht (Bearb.), Notenwechsel I, S. 47-71, hier S. 60/61. Auch im Gespräch mit Buttmann am 06.02.1934 kam er darauf zurück; Brechenmacher (Hg.), Unveröffentlichte Dokumente aus dem Nachlaß des Ministerialdirektors Rudolf Buttmann, S. 215.
11In der Öffentlichkeit Deutschlands würde allerdings eine solche Erklärung nicht durch die Presse verbreitet werden können; doch würde unter den heutigen Verhältnissen eine amtliche Mitteilung in der Presse zu wünschen sein, daß der Heilige Stuhl eine aufklärende und die Integrität der Intentionen der kirchlichen Obrigkeit darlegende Erklärung der Reichsregierung gegeben habe.
12Das ist die offenherzige Darlegung meiner Auffassung, in der nichts von der Kanzelverkündigung zurückgenommen wird, doch in Streben nach friedlichem Ausgang bis an die letzte Grenze gegangen sein würde.
13Eure Exzellenz wissen, daß ich mich nicht als Ratgeber aufdränge, doch eine schlimme und verhängnisvolle Katastrophe zu verhindern helfen möchte, auch dem Abbruch der Verhandlungen über die Ausführung des Reichskonkordats vorbeugen möchte.
Anhang

1 Die orthographischen Unregelmäßigkeiten der in der Nuntiatur angefertigten Abschrift wurden beibehalten.
2 Reichstagsrede Hitlers vom 30.01.1934, in: Verhandlungen des deutschen Reichstags / Reichstagsprotokolle, 9. Wahlperiode 1933/1936,1, Zweite Sitzung (30.01.1934) (http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w9), S. 7-20.
3 Vgl. den Kommentar zu Bericht No. 9033 vom 10.12.1933 sowie Brechenmacher (Hg.), Unveröffentlichte Dokumente aus dem Nachlaß des Ministerialdirektors Rudolf Buttmann, S. 215, Anm. 207.
4 Vgl. Bericht No. 9337 vom 15.01.1934.
5 Vgl. Anlage zu Bericht No. 9528 vom 07.02.1934; zur selben Thematik auch Faulhaber an Frick, 07.02.1934, in: Stasiewski (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe I, S. 535-539.
6 Vgl. Anm. 1 zu Bericht No. 9528 vom 07.02.1934.
7 Vgl. Bericht No. 8713 vom 09.11.1933, sowie Brechenmacher (Hg.), Unveröffentlichte Dokumente aus dem Nachlaß des Ministerialdirektors Rudolf Buttmann, S. 251, Anm. 316; der Bericht Bernings und Gröbers an Bertram vom 03.11.1933 in: Stasiewski (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe I, S. 433-436.
8 Druck in: Stasiewski (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe I, S. 535, Anm. 2.
9 Eine Erklärung des Hl. Stuhls, wie hier von Bertram gewünscht, unterblieb, ebenso eine Verlautbarung in der Presse. Allerdings hatte Pacelli bereits in seinem Promemoria an die Reichsregierung vom 31.01.1934 umfänglich zu dieser Angelegenheit Stellung genommen; vgl. Albrecht (Bearb.), Notenwechsel I, S. 47-71, hier S. 60/61. Auch im Gespräch mit Buttmann am 06.02.1934 kam er darauf zurück; Brechenmacher (Hg.), Unveröffentlichte Dokumente aus dem Nachlaß des Ministerialdirektors Rudolf Buttmann, S. 215.
Biographien (5):Sachdatensätze (2):

Berichte des Apostolischen Nuntius Cesare Orsenigo
aus Deutschland 1930 bis 1939
Im Auftrag des Deutschen Historischen Instituts in Rom und in Kooperation mit der Kommission für
Zeitgeschichte Bonn und dem Archivio Segreto Vaticano herausgegeben von Thomas Brechenmacher
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